Billig ist nicht immer günstig!
Sigrid Rautenberg schreibt in ihrem Artikel vom 2. September 2018, erschienen in der Süddeutschen Zeitung, die Konkurrenz unter Deutschen Anwältinnen und Anwälten sei “knallhart“. Sie begründet dies mit der Anzahl der in Deutschland zugelassenen Anwältinnen und Anwälte, in Beziehung gesetzt zur deutschen Bevölkerung (“Weil auf 500 Menschen in Deutschland ein Anwalt kommt, ist die Konkurrenz um Mandanten groß.“).
Nimmt man einen entsprechenden Quotienten als Massstab, so deuten die den Kanton Zürich betreffenden Zahlen darauf hin, dass die Konkurrenz auf dem Zürcher Anwaltsmarkt ebenfalls gross ist. So sind im Zürcher Anwaltsverband (ZAV) per Juni 2018 insgesamt 4’400 Mitglieder organisiert, und zwar 3’269 Aktiv- und 1’131 Passivmitglieder. Setzt man diese Zahl von 4’400 ZAV-Mitgliedern ins Verhältnis zur Wohnbevölkerung des Kantons Zürich, die 2017 rund 1.5 Mio. betrug, so ergibt sich ein Quotient von 341. Mit anderen Worten kommt, an Frau Rautenbergs Formulierung orientiert, gemäss dieser Berechnung auf nur 341 Menschen im Kanton Zürich (mindestens) eine Anwältin oder Anwalt (“mindestens” deshalb, weil der ZAV zwar einen hohen, aber keinen 100%-igen Organisationsgrad hat, der Nenner im betreffenden Bruch also grösser ist als 4’400).
Selbstverständlich ist die Aussagekraft eines entsprechenden Quotienten begrenzt. Mit Blick auf Zürich kann man etwa darauf hinweisen, dass die Anwältinnen und Anwälte in Zürich wegen des starken Wirtschaftsstandortes Zürich auch zahlreiche Mandanten ausserhalb des Kantons haben, dass also der relevante Mandantenpool deutlich grösser ist als 1.5 Mio. Personen. Andererseits ist bezüglich der Konkurrenzsituation auf dem Zürcher Anwaltsmarkt u.a. zu bedenken, dass den Zürcher Anwaltskanzleien in den letzten Jahren eine starke Konkurrenz durch Nicht-Kanzleien erwachsen ist. Wie Michael Hüppi in einem im Jahre 2012 in der Anwaltsrevue erschienenen Artikel festhielt (S. 133), hat die Anzahl der Anbieter von anwaltlichen Dienstleistungen beständig zugenommen, und zwar auch in Form von “branchenfremden” Akteuren, wie etwa den grossen Revisionsgesellschaften. So haben z.B. Ernst & Young (EY Law), PwC (PwC Legal) und Deloitte (Deloitte Legal) substantielle Rechtsberatungsabteilungen in Zürich aufgebaut. Stark gewachsen sind auch die Rechtsabteilungen in Zürcher Unternehmen, die einen Grossteil der in ihren Unternehmen anfallenden rechtlichen Beratungsdienstleistungen abdecken, namentlich in der Versicherungs- und Bankenbranche. So liess sich etwa Hermann Geiger, der Chefjurist bei Swiss Re, in einem Interview mit der NZZ vom 18. Dezember 2014 folgendermassen zitieren: “Die Rechtsabteilungen der Unternehmen sind heute viel grösser geworden.” Diverse, in den letzten Jahren erschienene Medienbeiträge bestätigen den hier kurz andiskutierten Trend, dass sich die Konkurrenzsituation auf dem Zürcher Anwaltsmarkt verschärft hat, etwa in der Handelszeitung, auf der Website der SRF und in der NZZ, die in ihrem Folio vom April 2012 darauf hinwies, der Kampf um die Mandate werde härter.
Wenn der Zürcher Markt für Anwaltsdienstleistungen somit tendenziell ein Käufermarkt sein dürfte, also ein Markt, in dem die Position der Käufer bzw. Mandanten stark ist, weil diese ihren Leistungserbringer unter zahlreichen Anbietern aussuchen können, könnte dies Mandanten dazu verleiten, dem angebotenen Preis bei der Auswahl ihrer Anwältin oder ihres Anwalts eine zu hohe Bedeutung beizumessen. Gemäss dem Spruch “billig ist nicht immer günstig” kann dies jedoch ein kontraproduktives Vorgehen sein, gerade im Bereich der Prozessführung (obgleich selbstredend nicht ausschliesslich dort). Auch wenn man nicht so weit gehen will wie Peter Hafter, der sein Buch zur Strategie und Technik des Zivilprozesses mit einem Untertitel versehen hat, gemäss dem es sich bei der Prozessvertretung um eine Kunst handle (Untertitel: “Einführung in die Kunst des Prozessierens“), so ist doch festzustellen, dass die Qualität von Prozessvertreterinnen und Prozessvertretern besonders entscheidend ist, aus verschiedenen Gründen, von denen nachfolgend einige aufgeführt werden sollen.
Da ist zum einen der Umstand zu erwähnen, dass eine Prozesspartei in der Schweiz ein Kostenrisiko trägt, das je nach Streitwerthöhe sehr substanziell sein kann. Anders als in anderen Rechtsordnungen, welche keine oder nur sehr geringe Gerichtsgebühren kennen, in denen die unterliegende Prozesspartei die Gegenpartei für deren Anwaltskosten nicht entschädigen muss, und in denen echte Erfolgshonorare zulässig sind, bei denen der Anwalt bei einer Prozessniederlage überhaupt kein Honorar erhält, gewärtigt ein Kläger oder Beklagter in einem schweizerischen Zivilprozess drei Kostenblöcke, die sich im Falle des Prozessverlustes zu einem erheblichen Betrag summieren können. Es handelt sich um die Kostenblöcke der Gerichtsgebühr, der sogenannten Parteientschädigung, mit welcher die Anwaltskosten der Gegenpartei entschädigt werden, sowie die Honorarnoten des eigenen Prozessvertreters. Wird im Prozess um eine hohe Summe gestritten, können die erwähnten Kostenblöcke ohne weiteres bereits in der ersten Instanz insgesamt eine sechsstellige Summe ausmachen. Vor diesem Hintergrund ist es somit besonders wichtig, dass eine Partei, die mit dem Entscheid über die Führung eines Zivilprozesses in der Schweiz konfrontiert ist, über sämtliche diesbezüglich relevanten Aspekte umfassend informiert und beraten wird, insbesondere über die Prozesschancen sowie das mit dem Verfahren verbundene Kostenrisiko. Wird diesbezüglich keine saubere Prozesschancenanalyse vorgenommen, kann es für eine Prozesspartei zu unerfreulichen und sehr teuren Überraschungen kommen. Die Erstellung entsprechender Prozesschancenanalysen ist schwierig und erfordert insbesondere Erfahrung.
Ein anderer wichtiger Aspekt betrifft den Umstand, dass eine Partei in einem Schweizer Zivilprozess viele Fehler machen kann, die sich fatal auf den Ausgang des Prozesses auswirken können. Dies beginnt etwa bereits bei der Frage, in welcher Währung eine Forderung einzuklagen ist. Klagt eine Klägerin ihre Forderung in der falschen Währung ein, kann dies zur Abweisung der Klage führen, unter Kostenfolgen. Ein anderer Stolperstein kann die Frage sein, welche Person oder welches Unternehmen in einem Forderungsprozess einzuklagen ist. Erwischt eine Klägerin die falsche Gegenpartei, fehlt dieser Gegenpartei also die sogenannte Passivlegitimation, führt auch dies zu einer kostenfälligen Klageabweisung. Nicht immer einfach ist auch, um ein weiteres Beispiel zu geben, die Bestimmung des zuständigen Gerichts. Ruft eine Partei ein unzuständiges Gericht an, tritt dieses auf die Klage nicht ein, was die Partei Zeit und Geld kostet. Wird ein Vertrag von einem Anwalt oder einer Anwältin nicht optimal redigiert, muss dies nicht zwangsläufig zu Schwierigkeiten führen. Unter Umständen kommt es bezüglich dieses Vertrags zwischen den Parteien nie zu einem Streit, weil die Parteien ihre jeweiligen Pflichten vertragskonform erfüllen, und der betreffende Vertrag wird nie dem Stresstest eines Rechtsstreits ausgesetzt. Aber wenn eine Partei in einem Zivilprozess einen der zahlreichen Stolpersteine übersieht, führt dies unter den kritischen Augen der Richterinnen und Richter meist zu einer kostenfälligen Prozessniederlage.
Ein dritter Punkt, der bei der Führung von Zivilprozessen sehr wesentlich ist (obgleich natürlich nicht nur dort), hängt damit zusammen, dass die Prozessführung keine repetitive Routinetätigkeit ist, die sich (zumindest auf absehbare Zeit) in irgendeiner Form standardisieren oder automatisieren liesse, wie etwa die Verlängerung des Schutzes einer eingetragenen Marke. Im Gegenteil stellen sich in Zivilprozessen häufig neue komplexe Sachverhalts- und Rechtsfragen, auf die sich keine schablonenartigen Antworten geben lassen, deren genaue Abklärung für den Prozesserfolg jedoch entscheidend sein kann. So kann es z.B. in einem Prozess entscheidend sein, dass eine bestimmte E-Mail an bestimmte Personen in Kopie (cc) geschickt wurde. Übersieht die Prozessanwältin oder der Prozessanwalt ein solches Detail, kann dies unter Umständen die Erfolgschancen der vertretenen Partei kompromittieren. Die Delegation eines entsprechenden Aktenstudiums an eine Software oder an unerfahrene Mitarbeiter kann somit unter Umständen riskant sein.
Abschliessend noch einen Hinweis zu den Stichworten Automatisierung und Erfahrung: Prozessieren ist keine exakte Wissenschaft. Menschen tragen dem Gericht den Prozessstoff vor, und menschliche Richterinnen und Richter fällen das Urteil. Solange Rechtsprechung nicht durch Algorithmen, sondern durch Menschen erfolgt, ist der Faktor Erfahrung bei der Prozessvertretung nicht zu unterschätzen, und Erfahrung hat ihren Preis.
PHH, Zürich, den 6. September 2018 (www.haberbeck.ch)
Rechtsgebiete: Allgemeines Vertragsrecht