Bundesgericht: Befangen wegen ausgezeichneter Dissertation

Bundesgericht: Befangen wegen ausgezeichneter Dissertation

Kürzlich hat das Bundesgericht ein interessantes neues Urteil veröffentlicht, in dem es sich mit einer Befangenheitsbeschwerde beschäftigt hat. Das Urteil trägt die Geschäftsnummer 4A_17/2019 und datiert vom 6. September 2019.

Stark simplifiziert lag dem oben erwähnten Urteil folgender Streitfall zugrunde: Bei der Beschwerdegegnerin im Verfahren vor dem Bundesgericht handelt es sich um eine Anwaltskanzlei, die den Beschwerdeführer in einem Strafverfahren vertreten hatte. Später war der Beschwerdeführer in erster und zweiter Instanz zur Bezahlung einer offenen, im Zusammenhang mit dem erwähnten Strafverfahren stehenden Honorarforderung der Anwaltskanzlei verurteilt worden. Das zweitinstanzliche Urteil focht der Beschwerdeführer beim Bundesgericht u.a. mit dem Argument an, eine der drei Richterinnen, die das betreffende Urteil gefällt haben, sei befangen, wodurch die konstitutionelle Garantie des verfassungsmässigen Richters verletzt worden sei.

Der Beschwerdeführer sah den Grund für die angebliche Befangenheit der Richterin insbesondere darin, dass diese rund ein Jahr vor Erlass des angefochtenen Urteils für ihre Doktorarbeit von der Universität einen von der Beschwerdegegnerin gestifteten Preis erhalten hatte.

Das Bundesgericht stimmte dem Beschwerdeführer zu, dass “bei objektiver Betrachtung Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit erwecken” (Urteil 4A_17/2019, E. 4.2.4). Mit der vom Beschwerdeführer angestrebten Konsequenz: “Das angefochtene Urteil ist aus diesem Grund aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung, durch einen verfassungs- und gesetzmässig zusammengesetzten Spruchkörper, an die Vorinstanz zurückzuweisen” (a.a.O.).

Dies sind die einschlägigen Erwägungen des Bundesgerichts (a.a.O., E. 4.2.3):

Es steht ausser Diskussion, dass die Beschwerdegegnerin keinen irgendwie gearteten Einfluss auf die Auswahl der auszuzeichnenden Absolventin hatte. Das ist jedoch nicht entscheidend. Es ist sodann auch ohne weiteres nachvollziehbar, wenn die Richterin ausführt, der Preis habe für sie in erster Linie nicht monetären Wert, sondern sei von Bedeutung als Anerkennung ihrer akademischen Leistungen und für ihren weiteren beruflichen Werdegang. Der Preis hat in diesem Sinn einen Anerkennungswert. Grundsätzlich ist ein höher dotierter Preis gewichtiger und bedeutsamer als ein tief dotierter und insofern hat dessen Höhe auch einen Einfluss auf den Anerkennungswert. Auch wenn es sich beim Preis um einen solchen der Universität Y.________ handelt, ist dessen Sponsorin von Bedeutung, zumal Sponsoring häufig erst solche Preise ermöglicht. Entsprechend wurde auch vorliegend in der Verleihungsurkunde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Preis von der Beschwerdegegnerin gestiftet worden sei. Aus der Sicht eines Aussenstehenden kann daher der Eindruck erweckt werden, eine solchermassen ausgezeichnete Absolventin könnte sich gegenüber einem Sponsor irgendwie zu Dank verpflichtet fühlen, jedenfalls diesem gegenüber eine positive Grundhaltung einnehmen. Vorliegend kann zudem die Art der Streitsache nicht ausser Acht gelassen werden. Es geht um eine eigene Forderung der Beschwerdegegnerin, und zwar um eine Honorarforderung. Der Beschwerdeführer bestreitet, dass diese im Hinblick auf das Geleistete angemessen ist und wirft der Beschwerdegegnerin sinngemäss vor, unnötigen Mehraufwand verrechnet zu haben. Der Streitgegenstand betrifft damit nicht nur das Bestehen oder Nichtbestehen einer Forderung, sondern enthält einen über das rein Monetäre hinausgehenden Aspekt. Der Beschwerdegegnerin ist schliesslich ohne weiteres zuzugestehen, dass eine Richterin nicht wegen eines von der Beschwerdegegnerin gestifteten Preises ‚auf unbestimmte Zeit oder gar lebenslänglich von der Behandlung von Fällen ausgeschlossen’ werden kann, in welche die Beschwerdegegnerin ‚involviert’ sei. Mit dem Zeitverlauf verflacht sich die Bedeutung des Anerkennungswerts eines Preises. Vorliegend wurde der Preis aber am xxx. November 2017 verliehen und der angefochtene Entscheid am 11. Dezember 2018 gefällt. Er erging im Zirkulationsverfahren und aus den Akten ist nicht ersichtlich, wann der Spruchkörper bestellt wurde. Jedenfalls wurde am 3. Juli 2018 mitgeteilt, dass keine mündliche Verhandlung vorgesehen sei. Angesichts dieser zeitlichen Nähe kann nicht von ‚unbestimmte Zeit’ oder ‚lebenslänglich’ gesprochen werden. Im Übrigen ging es – wie dargelegt – auch nicht um irgendeine ‚Involvierung’ der Beschwerdegegnerin, z.B. lediglich als Rechtsvertreter einer Partei.

Es handelt sich in casu sicher um einen Grenzfall, bei dessen Beurteilung man geteilter Auffassung sein kann. Persönlich tendiere ich dazu, der Einschätzung des Bundesgerichts zuzustimmen, dass die einschlägigen Umstände objektiv den Anschein der Befangenheit der betreffenden Richterin erwecken können. Aufgrund der überragenden rechtsstaatlichen Bedeutung des Vertrauens der Rechtsadressaten in eine unabhängige und faire Justiz dürfte es richtig sein, in entsprechenden Grenzfällen tendenziell eine Befangenheit anzunehmen und eine neue Urteilsfällung anzuordnen.

PHH, Zürich, den 11. November 2019 (www.haberbeck.ch)

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