Gewährserfordernis als aufsichtsrechtliche Bestimmung i.S.v. FINMAG 33?
Am 11. Juni 2018 fällte die II. Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts ein Urteil (Geschäfts-Nr.: B-688/2016), in dem es eine auf Art. 33 FINMAG gestützte Verfügung der FINMA wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufhob und die Sache zur Neubeurteilung an die FINMA zurückwies (siehe hierzu auch einen Artikel des Tagesanzeigers vom 27.6.2018). In seinem erwähnten Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) die angefochtene FINMA-Verfügung somit nicht materiell geprüft.
Das erwähnte Urteil enthält verschiedene interessante Erwägungen, u.a. die nachfolgend diskutierte, die sich doch auf die materiell-rechtliche Grundlage des fraglichen Berufsverbots bezieht (“doch”, weil das BVGer wie erwähnt die betreffende FINMA-Verfügung grundsätzlich nicht materiell geprüft hat, sondern wegen eines Verstosses gegen den Gehörsanspruch aufhob und die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die FINMA zurückwies).
Gemäss dem Urteil stützt sich das einschlägige Berufsverbot gemäss Art. 33 FINMAG auf eine Verletzung des Gewährerfordernisses durch das überwachte Institut. Dies geht etwa aus folgender Passage des Urteils hervor:
„Der Beschwerdeführer sei nach Art. 33 FINMAG verantwortlich dafür, dass die Bank während Jahren das Organisations- und Gewährserfordernis (Art. 3 Abs. 2 Bst. a und c sowie Art. 3f des Bankengesetzes vom 8. November 1934 [BankG, SR 952.0]) schwer verletzt habe.“ (Urteil, E. 2.2)
Im Urteil erwähnt das BVGer, dass in der Lehre nicht unumstritten ist, ob das Gewährserfordernis bestimmt genug ist, um eine aufsichtsrechtliche Bestimmung im Sinne von Art. 33 FINMAG (Berufsverbot) darzustellen:
„Die Lehre würde Zweifel darüber äussern, ob Generalklauseln wie der Gewährsartikel dem Bestimmtheitserfordernis genügen und eine aufsichtsrechtliche Bestimmung i.S.v. Art. 33 FINMAG darstellen könnten.“ (Urteil, E. 3.2)
In einem Artikel vom 8. Februar 2016 hatte ich mich zur oben erwähnten Fragestellung geäussert. Zusammengefasst vertrat ich die Auffassung, dass die Gewährsbestimmung von Art. 3 Abs. 2 lit. c BankG zu unbestimmt formuliert ist, um als aufsichtsrechtliche Bestimmung im Sinne von Art. 33 FINMAG dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot zu genügen, womit es sich beim Gewährsartikel nicht um eine aufsichtsrechtliche Bestimmung im Sinne von FINMAG 33 handelt (vgl. Philipp Haberbeck, Stellt das Gewährerfordernis gemäss Art. 3 Abs. 2 lit. c BankG eine aufsichtsrechtliche Bestimmung im Sinne von Art. 33 FINMAG (Berufsverbot) dar?, in: Jusletter vom 8. Februar 2016).
Das BVGer hat meine vorstehend erwähnte Auffassung im hier diskutierten Urteil klar verworfen:
„Art. 33 FINMAG ist ein generell-abstrakter Rechtssatz in einem Gesetz im formellen Sinn, der hinreichend bestimmt ist ([…]). […] Die Bestimmtheit in sachlicher Hinsicht ergibt sich aus den Finanzmarktgesetzen (vorliegend Art. 1 Abs. 1 Bst. d FINMAG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Bst. a und c [Organisations- und Gewährserfordernis] sowie Art. 3f Abs. 1 und 2 BankG [Gewährs- und Organisationserfordernis]). Die Bestimmtheit hinsichtlich der Rechtsfolge des Berufsverbots ergibt sich einerseits aus der organisatorischen Unterstellung bei einem beaufsichtigten Institut (Tätigkeit in leitender Stellung: Gewährsperson und Funktion unterhalb der Gewährsschwelle, wenn die Person ‘wesentliche Verantwortung’ trägt […]) und andererseits aus dem angegebenen Zeitrahmen. Zwar ist die Vorsehbarkeit etwas herabgesetzt dadurch, dass die ‘schwere Verletzung’ einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt ([…]); der Rechtsbegriff erlaubt aber die Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall ([…]). Den Anforderungen der Verfassung an die gesetzliche Grundlage (für schwere Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit) ist damit Genüge getan ([…]); die Anforderungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK, SR 0.101) sind nicht weiter zu prüfen, da das Berufsverbot als wirtschaftspolizeirechtlich motivierte Einschränkung gilt ([…]). Das Beschwerdevorbringen, es bestehe für ein Berufsverbot ohne persönliche Verantwortlichkeit keine Grundlage, geht an der Sache vorbei, da ohnehin kein Berufsverbot ausgesprochen werden darf, wenn ein Tatbestandsmerkmal fehlt ([…]). Ob die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegend erfüllt sind, ist eine Frage der materiellen Prüfung. Das gilt ebenso für den Einwand, die Vorinstanz stelle gestützt auf das Gewährs- und Organisationserfordernis an die damalige Organisation der Bank retrospektiv Anforderungen, mit denen niemand habe rechnen können und müssen. Die gesetzliche Grundlage ist gegeben.“ (Urteil, E. 3.3)
Aus der Sicht der Lehre ist zu hoffen, dass möglichst bald das Bundesgericht Gelegenheit erhält, sich zur vorstehenden Rechtsfrage abschliessend zu äussern.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf LinkedIn am 29. Juni 2018.
PHH, Zürich, den 2. Juli 2018 (www.haberbeck.ch)
Rechtsgebiete: Bank- und Finanzmarktrecht