Interessantes neues Bundesgerichtsurteil: Keine Haftung ohne adäquate Kausalität
Am 18. Oktober 2019 hat das Schweizer Bundesgericht einen insbesondere für Bankjuristinnen und Bankjuristen interessanten neuen Entscheid vom 2. September 2019 veröffentlicht (Geschäftsnummer: 4A_87/2019), der sich nach meinem Dafürhalten durch seine differenzierten Erwägungen zur Tatbestandsvoraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs auszeichnet.
Sehr stark vereinfacht, ging es in der relevanten Streitsache um folgenden Sachverhalt: Eine russische Privatperson gewährte einer befreundeten Person ein Darlehen im Gesamtbetrag von USD 4 Mio. (zwei gleichzeitig gewährte Tranchen in Höhe von USD 1.2 und 2.8 Mio.). Ein Grossteil dieser Darlehenssumme wurde vom Darlehensnehmer nicht zurückbezahlt und ist offenbar nicht mehr einbringlich. Überwiesen wurde die Darlehenssumme in Höhe von insgesamt USD 4 Mio. in den erwähnten beiden Tranchen auf Konten bei der Zürcher Zweigniederlassung einer österreichischen Bank. Bei diesen Konten handelte es sich um Treuhandkonten eines Rechtsanwalts. In den beiden Swift-Überweisungen, mit denen die Darlehenssumme von insgesamt USD 4 Mio. überwiesen wurden, wurde als Begünstigter der Überweisungen der Darlehensnehmer genannt, nicht der Rechtsanwalt als Inhaber der Treuhandkonten, denen die USD 4 Mio. gutgeschrieben wurden. Stark simplifiziert, fasste der Darlehensgeber die österreichische Bank für seinen Verlust mit der Begründung ins Recht, die Bank bzw. deren Zürcher Zweigniederlassung hätte aufgrund der erwähnten Diskrepanz (Auseinanderfallen Kontoinhaber und Begünstigter) die beiden Gutschriften nicht ohne Rückfrage tätigen dürfen.
Wie erwähnt sind im neuen Urteil 4A_87/2019 insbesondere die differenzierten Erwägungen des Bundesgerichts zur Tatbestandsvoraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs interessant, u.a. folgende:
(1) Der Kläger hat argumentiert, wenn eine Sorgfaltspflichtverletzung erstellt ist, sei das Vorliegen des adäquaten Kausalzusammenhangs zu vermuten. Dieser Standpunkt wird vom Bundesgericht abgelehnt, nach hier vertretener Auffassung zu Recht, ist es im Schweizer Haftungsrecht doch systemimmanent, dass jede Tatbestandsvoraussetzung separat geprüft wird. In den Worten des Bundesgerichts (a.a.O., E. 4.1.3.2):
“Die Ansicht des Beschwerdeführers, bei erstellter Sorgfaltspflichtverletzung sei der hypothetische Kausalzusammenhang zu vermuten, überzeugt nicht. Soweit es um Schadenersatz geht, kann aus einer Sorgfaltspflichtverletzung allein nichts abgeleitet werden. Eine Vielzahl von Sorgfaltspflichtverletzungen bleibt ohne Konsequenzen, weil sich das Risiko, dass durch hinreichende Sorgfalt ausgeschaltet würde, aus anderen Gründen nicht verwirklicht hat. Der zu beurteilende Fall kann insofern als Beispiel dienen, als das Geld trotz der Sorgfaltspflichtverletzung letztlich in die Verfügungsmacht des Darlehensnehmers und damit des beabsichtigten Zahlungsempfängers gelangt ist, obwohl das Konto nicht auf dessen Namen lautete. Dass ein Schaden entstanden ist, interessiert schadenersatzrechtlich nur, wenn der Schaden mit der Sorgfaltspflicht in Zusammenhang steht. Dieser Zusammenhang ist der Kausalzusammenhang – aus der Sorgfaltspflichtverletzung allein kann er nicht abgeleitet werden. Erst wenn ein Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden in einem gewissen Mass erstellt ist, kann sich die Frage einer Beweislastumkehr stellen – so im Rahmen des rechtmässigen Alternativverhaltens, für das die Beweislast beim Schädiger liegt […].”
(2) Im Kern hing die Beurteilung der hier diskutierten Schadenersatzklage davon ab, wie man rechtlich den Umstand gewichtet, dass die beklagte Bank die in zwei Tranchen erfolgten Swift-Instruktionen ausführte, obgleich diese Instruktionen wie erwähnt dahingehend inkongruent waren, als der in ihnen erwähnte Begünstigte der Überweisungen (Darlehensnehmer) nicht auch Inhaber der erwähnten Zielkonten (Rechtsanwalt) war. Im Ergebnis erachtete das Bundesgericht (wie auch dessen Vorinstanzen) diese Sorgfaltspflichtverletzung – untechnisch gesprochen – als nicht schwerwiegend genug, die Bank für den erwähnten Verlust des Darlehensgebers haften zu lassen. In diesem Zusammenhang erinnert das Bundesgericht an die Funktion der Tatbestandsvoraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs (a.a.O., 4.3):
“Rechtspolitischer Zweck der Adäquanz bildet die Begrenzung der Haftung; es soll aufgrund sämtlicher Umstände im Einzelfall (Art. 4 ZGB) entschieden werden, ob eine Schädigung billigerweise noch dem Haftpflichtigen zugerechnet werden kann […]. Dabei genügt haftpflichtrechtlich, dass der Schädiger eine Ursache gesetzt hat, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet war, den Schaden herbeizuführen, und ohne die es nicht zum Schaden gekommen wäre, während Mitursachen den adäquaten Kausalzusammenhang in der Regel weder zu unterbrechen noch auszuschliessen vermögen […]. Der adäquate Kausalzusammenhang wird unterbrochen, wenn zu einer an sich adäquaten Ursache eine andere Ursache hinzutritt, die einen derart hohen Wirkungsgrad aufweist, dass erstere nach wertender Betrachtungsweise als rechtlich nicht mehr beachtlich erscheint. Entscheidend ist die Intensität der beiden Ursachen […].”
(3) In Anwendung der vorstehend erwähnten haftungsbegrenzenden Funktion des Adäquanzkriteriums weist das Bundesgericht in seinem hier diskutierten Entscheid sinngemäss darauf hin, dass die der Bank zur Last gelegte Sorgfaltsmissachtung (Ignorieren der fraglichen Diskrepanz) mit Blick auf den fraglichen Verlust / Schadenersatzanspruch nicht mehr als adäquat-kausal betrachtet werden kann (a.a.O., E. 4.3.2):
“Wer eine Überweisung vornimmt, ohne die nötigen Kontrollen durchzuführen, muss damit rechnen, einen Erfolg herbeizuführen oder ihn jedenfalls zu begünstigen, der daraus entsteht, dass das Geld in die Verfügungsmacht nicht des beabsichtigten Zahlungsempfängers, sondern eines Dritten gelangt. Er muss nicht damit rechnen, dass er einen Erfolg begünstigt, der dadurch entsteht, dass der beabsichtigte Zahlungsempfänger wie beabsichtigt die Verfügungsmacht über das ihm zugedachte Geld erhält, denn darin lag ja der Zweck der Überweisung überhaupt und dies sollte durch die Beachtung der Sorgfaltspflicht gesichert werden. Wer die Überweisung ohne Beachtung der nötigen Sorgfaltspflicht vornimmt, erhöht – weil dadurch das Risiko einer Verwechslung oder eines Versehens steigt – nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit, dass das überwiesene Geld nicht in die Verfügungsmacht des beabsichtigten Zahlungsempfängers gelangt. Einen Erfolg, der Letzteres voraussetzt, wird mit der Missachtung der Sorgfaltspflicht nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht begünstigt.”
(4) Verträte man die Auffassung, die einschlägige Sorgfaltspflichtverletzung liege nicht per se ausserhalb der Adäquanz, wäre nach Auffassung des Bundesgerichts der adäquate Kausalzusammenhang aufgrund der betrügerischen Machenschaften des Darlehensnehmers als durchbrochen anzusehen (a.a.O., E. 4.3.3):
“Dass Fälle denkbar sind, in denen anlässlich einer Abklärung bei mangelnder Kongruenz der Angaben ein beabsichtigter Betrug auffliegt, ändert daran nichts. Dies wäre nicht eine nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eintretende Folge der vertraglich geschuldeten Kontrolle, sondern eine Folge von Zufälligkeiten bei der Art der Deliktsbegehung, die dazu führen kann, dass eine Kontrolle Dinge an den Tag bringt, zu deren Entdeckung sie nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gar nicht geeignet ist. Aber selbst wenn man dies anders sehen und die Adäquanz nicht als solche verneinen wollte, würde dies nichts ändern. Die Pflicht, gegen die die Beschwerdegegnerin verstossen hat, soll gewährleisten, dass tatsächlich der beabsichtigte Zahlungsempfänger über die Zahlung verfügen kann. Sie dient nicht dem Schutz des Darlehensgebers vor der Darlehensvergabe an den Darlehensnehmer als beabsichtigten Zahlungsempfänger. Damit läge die eigentliche Ursache des Schadens im betrügerischen Verhalten des Darlehensnehmers. Sie wäre derart intensiv, dass der Wirkungsgrad der von der Beschwerdegegnerin gesetzten Ursache dermassen hinter denjenigen der vom Darlehensnehmer gesetzten zurücktreten würde, dass von einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs auszugehen wäre […].”
Es ist ohne detaillierte Kenntnis der einschlägigen Akten schwierig, sich über den einschlägigen Prozessausgang ein abschliessendes Urteil zu bilden. Unter diesem Vorbehalt ist den bundesgerichtlichen Erwägungen zur Tatbestandsvoraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs nach hier vertretener Auffassung zuzustimmen. Die rechtspolitische Funktion dieses Tatbestandsmerkmals liegt wie erwähnt darin, dem Richter eine einzelfallweise Haftungszurechnung zu ermöglichen. Mit anderen Worten soll eine Person für eine Sorgfaltspflichtverletzung dann nicht mehr haften, wenn dies im Lichte der Art und Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung auf der einen und dem geltend gemachten Schaden auf der anderen Seite nicht mehr gerechtfertigt scheint. Ein solcher Schluss scheint im hier diskutierten Fall gerechtfertigt zu sein.
PHH, Zürich, den 11. November 2019 (www.haberbeck.ch)
Rechtsgebiete: Bank- und Finanzmarktrecht