Neues Präjudiz des Bundesgerichts zum merkantilen Minderwert bei Immobilien

Neues Präjudiz des Bundesgerichts zum merkantilen Minderwert bei Immobilien

Im Juni 2019 hat das Bundesgericht auf seiner Website einen interessanten neuen Leitentscheid hochgeladen, der für die Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen ist. Es handelt sich um das Urteil 4A_394/2018 vom 20. Mai 2019.

Das Urteil ist für alle Personen, die sich mit dem Schweizer Immobilien- und/oder Schadenersatzrecht beschäftigen, von hohem Interesse.

In diesem neuen Leitentscheid behandelt das Bundesgericht die Frage der Anerkennung eines merkantilen Minderwerts bei Immobilien als ersatzfähigen Schaden, wozu es sich nach eigener Auskunft vor diesem neuen Urteil noch nie konkret geäussert hatte.

Im Urteil 4A_394/2018 stellt das Bundesgericht zunächst allgemeine Rechtsüberlegungen zur Schadensart des merkantilen Minderwerts an, auch aus einer rechtsvergleichenden Perspektive. Als Ergebnis kommt das Bundesgericht zum Schluss, ein merkantiler Minderwert könne grundsätzlich bei allen Sachen eintreten, bei denen der Markt infolge eines schädigenden Ereignisses mit einem weder technisch noch funktionell begründeten Preisabschlag reagiert. Unter welchen Voraussetzungen ein solcher merkantiler Minderwert ersatzfähig ist, könne aber nicht allgemein festgehalten werden, sondern erfordere eine differenzierte Betrachtung je nach Art der betroffenen Sache.

Was Automobile betrifft, hält das Bundesgericht im Ergebnis an seiner bisherigen Rechtsprechung dahingehend fest, dass bei Motorfahrzeugen ein merkantiler Minderwert grundsätzlich ersatzfähig ist. Das Bundesgericht präzisiert aber, dass dies nicht bedeute, dass ein merkantiler Minderwert bei jedem reparierten Unfallauto vorliegt. Vielmehr sei bei jedem Fall konkret zu prüfen, ob eine merkantile Wertminderung vorliegt, wobei insbesondere das Alter des Fahrzeuges und die Art der erfolgten Reparaturen zu berücksichtigen seien.

Anders beurteilt das Bundesgericht die Situation mit Bezug auf Immobilien. Bezüglich Immobilien kommt das Bundesgericht im Ergebnis zum Schluss, dass bei diesen sehr langlebigen Sachen ein merkantiler Minderwert nur dann verlangt werden könne, wenn der Geschädigte dem Gericht einen konkreten bzw. definitiv in seinem Vermögen eingetretenen Schaden aus merkantilem Minderwert nachweisen kann, der sich etwa bei einem Verkauf materialisiert hat. Die entscheidende Erwägung des Bundesgerichts wird hiernach im Wortlaut zitiert (Hervorhebungen zusätzlich):

Ein allfälliger merkantiler Minderwert vermindert sich bei Immobilien nicht parallel zum Minderwert, den die Sache ohnehin durch Zeitablauf erfährt. Wie dargelegt hängt der Umstand, dass ein allfälliger Schaden aus merkantilem Minderwert bei Immobilien mit der Zeit abnimmt, vielmehr mit dessen Natur zusammen. Nach allgemeiner Verkehrsauffassung wird eine Immobilie infolge eines schadenstiftenden Ereignisses nicht langfristig als minderwertig angesehen. Es besteht aus Sicht des Eigentümers kein bleibender, sondern allenfalls ein bloss vorübergehender Schaden, der nach höchstens 15 Jahren bei der Immobilienbewertung bedeutungslos wird. Im Vergleich zu Motorfahrzeugen sind Immobilien langlebige Wirtschaftsgüter, die nur mit einem hohen Aufwand verkauft werden können. Für den Erwerb einer Immobilie und deren Bewertung durch den Markt sind zudem eine Vielzahl von Faktoren – wie z.B. Lage und Ausbaustandard – von Bedeutung. Weiter sind Immobilien besonders wertvolle Güter, die für den Eigentümer und dessen Angehörigen bzw. – bei Geschäftsimmobilien – für das Geschäft eine besondere Bedeutung haben. Deshalb dürfte ein allfälliger merkantiler Minderwert bei der Entscheidung, über eine Immobilie zu verfügen, gewöhnlich nur eine untergeordnete Rolle spielen. […] Der vorübergehenden Natur eines Schadens aus merkantilem Minderwert wird bei Immobilien am besten dadurch Rechnung getragen, dass der Ersatz eines solchen Schadens auf den Fall zu beschränken ist, dass eine konkrete Vermögensverminderung nachgewiesen wird. […] Ein konkreter – im Reinvermögen des Geschädigten bleibender – Schaden kann in erster Linie dadurch entstehen, dass die Immobilie verkauft wird: Weist der Geschädigte nach, dass er wegen einer durch ein schädigendes Ereignis verursachten Minderung des Verkehrswertes der Immobilie bei deren Verkauf einen geringeren Erlös erzielt hat, schuldet ihm der Schädiger den Ersatz dieses Schadens, auch wenn diese Minderung unabhängig von der technischen bzw. funktionellen Beeinträchtigung der Sache eintritt. Neben dem Verkauf der Sache kann aber ein konkreter bleibender Schaden auch bei anderen Gelegenheiten vorkommen, bei denen es auf eine Bewertung der Immobilie ankommt, wie etwa bei einer Enteignung oder Zwangsverwertung. Folglich ist für den Ersatz eines merkantilen Minderwertes bei Immobilien nur eine konkrete Schadensberechnung zulässig. Soweit sich aus dem Urteil 4A_113/2017 vom 6. September 2017, bei welchem die Ersatzfähigkeit eines allfälligen Schadens aus merkantilem Minderwert nicht materiell geprüft werden musste, etwas anderes ergeben sollte, kann daran nicht festgehalten werden.

Philipp H. Haberbeck, Zürich; zuerst veröffentlicht auf LinkedIn am 7. Juni 2019 (www.haberbeck.ch)

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