Rechtsschutzbedürfnis beim Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle

Rechtsschutzbedürfnis beim Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle

Rechtsschutzbedürfnis beim Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle

Einem Antrag auf gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle gem. § 100 ArbGG fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn zuvor nicht der nach § 74 I 2 BetrVG vorgesehene Versuch einer Einigung mit Vorschlägen zur Beilegung der Meinungsverschiedenheit unternommen wurde. Ein hinreichender Versuch einer Einigung bedingt – zumindest grob umrissen – eine inhaltlich Konrketisierung, zu welchem Regelungsgegenstand welche Regelung gewünscht wird (amtl. Leitsatz, LAG Nürnberg, Beschluss com 17.07.2023 – 4 TaBV 10/23; Vorinstanz: ArbG Bayreuth 18.04.2023 – 3 BV 2/23).

  1. Sachverhalt

Die Beteiligten stritten über die Einsetzung einer Einigungsstelle. Der Betriebsrat hatte beschlossen, von seinem Initiativrecht Gebrauch zu machen und den Arbeitgeber unter Hinzuziehung von Sachverständigen zu Verhandlungen aufgefordert. Nachdem eine Einigung über die Erforderlichkeit der Hinzuziehung externen Sachverstandes nicht erreicht wurde, erklärte der Betriebsrat die Verhandlungen für gescheitert und beantragte in der Folge die Einsetzung der Einigungsstelle vor dem Arbeitsgericht.

Das Abeitsgericht gab dem Antrag statt. Der Betriebsrat habe einen ernsthaften Verhandlungsversuch unternommen. Da der Betriebsrat nur unter Hinzuziehung von Sachverständigen verhandeln wolle und der Arbeitgeber das ablehne, seien die innerbetrieblichen Verhandlungen als gescheitert anzusehen.

  1. Entscheidung

Dem stimmte das LAG Nürnberg nicht zu und hielt die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den erstinstanzlichen Beschluss für begründet.

Als Hauptargument führte das LAG Nürnberg aus, dem Antrag des Betriebsrats fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Der Betriebsrat habe mangels eigener inhaltlicher Positionierung zur Frage, zu welchem Regelungsgegenstand er welche Regelungen erreichen wolle, keinen ernstlichen Versuch von Verhandlungen unternommen. Allein die Meinungsverschiedenheiten über das weitere Verfahren und insbesondere, ob für den Betriebsrat die Hinzuziehung externen Sachverstands erforderlich ist, begründen kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 100 ArbGG.

Ist eine inhaltliche Positionierung aufgrund fehlenden Sachverstands tatsächlich nicht möglich, stehe dem Betriebsrat die gerichtliche Durchsetzung seines Anspruchs nach § 80 III BetrVG auf Hinzuziehung externen Sachverstands offen.

 

  • Kommentar

Mit dieser Entscheidung folgt das LAG Nürnberg der Rechtsprechung des LAG Düsseldorf, Beschluss vom 16.7.2019 – 3 TaBV 36/19( Vorinstanz: ArbG Solingen 29.5.2019 –3 BV 22/19, BeckRS 2019, 19654), d.h., die antragsstellende Partei muss ernsthaft versucht haben, in Verhandlungen mit der Gegenseite zu treten. Einem Antrag auf gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle gemäß § 100 ArbGG fehlt grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis, wenn zuvor nicht der nach § 74 I 2 BetrVG vorgesehene Versuch einer Einigung mit Vorschlägen zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten unternommen wurde. Dazu gehöre es, eigene Vorstellungen zum Regelungsthema zu formulieren. Das folge aus den gesetzlichen Vorgaben, §§ 2 I, 74 I 2 BetrVG.

Die Entscheidung des LAG Nürnberg ist sachgerecht. Betriebsräte können nicht pauschal Verhandlungen über einen Mitbestimmungstatbestand unter Hinzuziehung eines Sachverständigen verlangen. Es wird von ihnen verlangt, dass sie sich klar und eindeutig positionieren – und zwar hinsichtlich des Regelungsgegenstands. Für den Fall, dass eine Positionierung nicht ohne externen Sachverstand möglich sein sollte, muss ein Anspruch nach § 80 III BetrVG im Beschlussverfahren durchgesetzt werden. Anschließend kann unter Zuhilfenahme des Sachverständigen eine Verhandlungsposition erarbeitet werden. Sollten die sich daran anschließenden Verhandlungen scheitern, kann die Einsetzung einer Einigungsstelle beantragt werden.

 

Exkurs 1: Kompetenz des Arbeitsgerichts bei Bildung einer Einigungsstelle (Sonderfall: Beschlussverfahren über Zuständigkeit)

Während des Beschlussverfahrens über die Bestellung der Einigungsstelle kann ein Beschlussverfahren über die Zuständigkeit der Einigungsstelle anhängig gemacht werden. Das kommt u.a. in Betracht, wenn der Arbeitgeber die Auffassung vertritt, dass die Einigungsstelle schon gar nicht zuständig sein kann. Allerdings ist eine Aussetzung des Bestellungsverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Beschlussverfahrens nicht zulässig.

Der Beschluss über die Bestellung der Einigungsstelle hat für einen Rechtsstreit, ob die Einigungsstelle im verbindlichen Einigungsverfahren zuständig ist, keine präjudizielle Wirkung. Eine rechtskräftige Abweisung des Antrags lässt daher in einem Mitbestimmungsstreit nicht das Rechtsschutzinteresse des Betriebsrats an der Feststellung des umstrittenen Mitbestimmungsrechts entfallen. Bei einem rechtskräftigen Obsiegen kann daher, wenn noch keine Einigung über die Bildung einer Einigungsstelle zustande gekommen ist, erneut die Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden und die Festlegung der Mitgliederzahl beantragt werden.

 

Exkurs 2: Verfahren vor der Einigungsstelle

Das Verfahren vor der Einigungsstelle kann nur auf Antrag eingeleitet werden. Grundsätzlich kann jede Seite den Antrag stellen.

Der Antrag ist an den Vorsitzenden der Einigungsstelle zu richten. Er kann gestellt werden, sobald der Vorsitzende bestellt und die das Verfahren betreibende Partei die auf sie entfallenden Beisitzer benannt hat. In Angelegenheiten der sog. erzwingbaren Mitbestimmung (§ 87 BetrVG) muss der Einigungsstelle ein so konkreter Regelungsauftrag erteilt sein, dass diese beurteilen kann, worin der an sie gerichtete Auftrag besteht.

Das Verfahren vor der Einigungsstelle ist im BetrVG nur unvollständig geregelt. Der dadurch entstehende Freiraum ist jedoch durch anerkannte Verfahrensgrundsätze begrenzt. Diese leiten sich vor allem aus dem Grundgesetz ab und dort aus dem Rechtsstaatsgebot.

Zu den einzelnen Sitzungen hat der Vorsitzende die Mitglieder unverzüglich zu laden. Er muss beiden Parteien Gehör gewähren, d.h. jeder Seite ist die Möglichkeit zu geben, ihre Ansicht vorzutragen.

Wichtig ist, dass ein unparteiischer Entscheidungsträger der Einigungsstelle vorsitzt. Nur der Vorsitzende, nicht jedoch einer der Beisitzer, können daher wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, falls sich während des Verfahrens Anhaltspunkte für seine Parteilichkeit ergeben sollten.

Zwar kann die Einigungsstelle Beweise erheben, insbes. Zeugen und Sachverständige vernehmen, ein Zwangsmittel steht ihr aber nicht zu, auch nicht gegenüber den Betriebspartnern. Damit hängt die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts von der Mitwirkung der Betriebspartner ab.

Welche Zielsetzung verfolgt nun eine Einigungsstelle im Betrieb?

Nicht zuletzt die Verpflichtung der Parteien, der Einigungsstelle die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, zeigt die grundsätzliche Zielsetzung einer Einigungsstelle:

Durch Pflicht zur Zusammenarbeit Konsens unter den Parteien erzielen.

Die Einigungsstelle ist ein Organ der Betriebsverfassung und hat die Funktion einer innerbetrieblichen Schlichtungsstelle (§ 76 BetrVG). Nach § 74 Abs 1 Satz 2 BetrVG sollen Arbeitgeber und Betriebsrat zunächst über streitige Fragen verhandeln und sie möglichst auf diesem Wege einer Lösung zuführen.

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