Urteil des Handelsgerichts Zürich mit Bezug zur Cum-Ex-Thematik
Dividendenstripping, auch bezeichnet als Cum-Ex-Geschäfte, haben in den letzten Jahren in den Medien sehr hohe Wellen geworfen. Da fällt es auf, wenn sich das Handelsgericht des Kantons Zürich (Handelsgericht Zürich) vor Kurzem mit einem Streitfall befasst hat, der einen Bezug zu dieser Thematik aufweist. Konkret geht es um ein am 7. Mai 2019 vom Handelsgericht Zürich gefälltes Urteil (Geschäfts-Nr.: HG170121-O), dessen schriftliche Begründung kürzlich öffentlich zugänglich gemacht wurde (in anonymisierter Form).
Stark komprimiert geht es im betreffenden Urteil um eine deutsche Kundin (eine GmbH & Co. KG) einer Schweizer Privatbank, die von der Bank Anteile an einem luxemburgischen Anlagefonds erworben hatte, dessen Anlagestrategie es – im Ergebnis – war, Cum-Ex-Geschäfte zu betreiben. Weil die deutschen Steuerbehörden ab Ende 2011 bestimmte Kapitalertragsteuererstattungen nicht mehr leisteten, wurde der Fonds erst illiquid (2013) und später gar in Liquidation versetzt (2014). Die Kundin der Privatbank verklagte diese Ende Mai 2017 mit dem Ziel, sich an der Bank für ihre einschlägige Negativinvestition (in ursprünglicher Höhe von EUR 1 Mio.) schadlos zu halten
Folgende Punkte im hier diskutierten Urteil sind nach meinem Dafürhalten besonders interessant:
(1) Absichtliche Täuschung
Das Handelsgericht Zürich sah es als erwiesen an, dass die klagende Kundin von der Schweizer Privatbank bezüglich der Investition in den oben erwähnten Fonds absichtlich getäuscht worden war (Urteil, E. 7.9, S. 33). Interessant ist in diesem Zusammenhang u.a., dass die beklagte Bank zu ihrer Verteidigung sinngemäss geltend gemacht hatte, bei einer in Aussicht gestellten Rendite von 12% habe sich die Klägerin darüber, dass eine Investition in den fraglichen Fonds risikoreich war, nicht im Irrtum befinden können. Das Handelsgericht Zürich hat dieses Argument mit Blick auf die betreffende Klägerin zurückgewiesen (Urteil, E. 7.4.3.3, S. 31):
“Zwar ist ein Fonds mit einer Zielrendite von 12% in einem notorisch tiefen Zinsumfeld objektiv als spekulativ einzustufen. Von einer sachkundigen und erfahrenen Investorin wäre zu erwarten, dies zu erkennen. Um eine solche handelte es sich bei der Klägerin aber nicht. Zwar ist eine gewisse Vorsicht von jeder Investorin zu erwarten; namentlich muss sie wissen, dass keine Anlage mit einem hohen Renditeversprechen gänzlich risikofrei ist. Jedoch darf gerade eine unerfahrene Anlegerin der in Anspruch genommenen Anlageberatung weitestgehend vertrauen. Sie muss nicht damit rechnen, dass die erhaltenen Auskünfte diametral von der Wirklichkeit abweichen könnten. Würde man von einer Anlegerin ein derartiges Misstrauen verlangen, verlöre die Anlageberatung ihre Daseinsberechtigung.”
Ein anderer interessanter Punkt hinsichtlich des Tatbestands der absichtlichen Täuschung ist der, dass im hier diskutierten Fall die Anfechtung des einschlägigen Kaufvertrags auf der Grundlage einer absichtlichen Täuschung an der einjährigen Anfechtungsfrist gemäss Art. 31 OR scheiterte. Im Lichte der vorprozessualen Korrespondenz war erstellt, dass die Klägerin spätestens am 9. September 2016 Kenntnis von der Täuschung über das fragliche Investment erlangt hatte. Aus welchen Gründen die Klägerin den Kauf der betreffenden Fondsanteile gegenüber der Beklagten erst in ihrer Replik vom 16. April 2018 (und damit zu spät) angefochten hat, geht aus dem Urteil nicht hervor (Urteil, E. 7.10.3, S. 35). Allgemein ist mit Blick auf Art. 31 OR festzuhalten, dass der Einhaltung dieser als Verwirkungsfrist qualifizierten Frist von einem Jahr selbstverständlich höchste Aufmerksamkeit zu schenken ist.
(2) Schaden
Alternativ zum auf den Kaufpreis gerichteten Rückerstattungsanspruch (wegen absichtlicher Täuschung) richtete die Klägerin einen Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Bank. In diesem Zusammenhang zeigte sich einmal mehr, wie entscheidend die Tatbestandsvoraussetzung des Schadens in Zivilprozessen vor Schweizer Gerichten ist (aber natürlich nicht nur dort). Obgleich das Handelsgericht Zürich es als erwiesen erachtete, dass die Bank im Kontext des betreffenden Geschäfts ihre Beratungs- und Aufklärungspflichten verletzt hatte (Urteil, E. 8.2, S. 36), wies es die Schadenersatzklage ab, weil es das Tatbestandselement des Schadens für nicht erstellt betrachtete. Diesbezüglich erachtete das Handelsgericht Zürich folgende Aspekte für massgeblich:
- Das Handelsgericht Zürich stimmte der beklagten Bank zu, dass das einschlägige steuerrechtliche Erstattungsverfahren in Deutschland im Urteilszeitpunkt nach wie vor lief und es damit in diesem Zeitpunkt nicht möglich war, über das Nettovermögen des betreffenden Fonds (und damit über die Schadenshöhe) definitive Feststellungen zu treffen (Urteil, E. 8.3.3.1, S. 40).
- Unabhängig vom obigen Aspekt, also selbst wenn von der Wertlosigkeit der betreffenden Fondsanteile ausgegangen würde, verlangte das Handelsgericht Zürich, die Klägerin hätte zur ausreichenden Substantiierung ihres Schadens darlegen müssen, welche alternative Anlage(n) sie getätigt hätte, wenn die Investition in den Cum-Ex-Fonds unterblieben wäre (Urteil, E. 8.3.3.1, S. 41).
- Das vermutlich nur pauschal vorgetragene Argument der Klägerin, sie sei für die Entbehrung des betreffenden Kapitals (also die Entbehrung des Kaufpreises für die Anteile des Cum-Ex-Fonds) zu entschädigen, wies das Handelsgericht Zürich wegen fehlender Substantiierung ihres konkret erlittenen entgangenen Gewinnes ab, also namentlich eines konkreten Gewinnes, welcher der Klägerin deshalb entgangen sei, weil sie den betreffenden Betrag in den Cum-Ex-Fonds investiert hat (Urteil, E. 8.3.3.2, S. 41). Dass es vor Schweizer Gerichten generell schwierig ist, entsprechende Klagen auf entgangenen Gewinn erfolgreich zu führen, habe ich in meiner Doktorarbeit über die Schweizer Rechtsprechung zu “loss of profit claims” thematisiert.
Philipp H. Haberbeck, Zürich; zuerst veröffentlicht auf LinkedIn am 5. Juli 2019 (www.haberbeck.ch)
Rechtsgebiete: Bank- und Finanzmarktrecht