Urteil des Handelsgerichts Zürich zu Kreditausfallversicherungsverträgen

Urteil des Handelsgerichts Zürich zu Kreditausfallversicherungsverträgen

Das Handelsgericht des Kantons Zürich (Handelsgericht Zürich) hat auf seiner Website kürzlich ein Urteil vom 19. September 2018 hochgeladen, in dem es Gelegenheit hatte, sich mit einem Kreditausfallversicherungsvertrag auseinanderzusetzen (Geschäfts-Nr. des Urteils: HG160125-O). Dieses Urteil enthält verschiedene interessante Hinweise, insbesondere die nachfolgend angesprochenen.

Abschluss eines neuen oder Änderung des bestehenden Versicherungsvertrags?

Im betreffenden Verfahren war es relevant, ob die Parteien einen neuen Kreditausfallversicherungsvertrag abgeschlossen oder den bestehenden Vertrag nur abgeändert hatten. Hierzu hält das Handelsgericht Zürich in seinem hier diskutierten Urteil folgendes fest (E. 2.7.2, S. 25 f.):

Von der Vereinbarung der Parteien hängt es ab, ob es sich lediglich um eine Änderung handelt, so dass der bisherige Vertrag weiterläuft, oder ob anstelle des bisherigen Vertrages ein neuer Vertrag tritt […]. Die Abgrenzung zwischen dem Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages und der blossen Änderung des bestehenden Vertrages kann im Einzelfall schwierig sein. Das Versicherungsvertragsgesetz […] definiert den Begriff der Vertragsänderung nicht und grenzt diese auch nicht vom Abschluss eines neuen Vertrages ab. Eine Änderung des bestehenden Vertrages liegt etwa vor, wenn Vertragsbedingungen geändert werden, wenn Risiken ein- oder ausgeschlossen werden oder wenn sich der Umfang bereits versicherter Risiken ändert. Um einen Neuabschluss handelt es sich hingegen, wenn der Vertragsgegenstand wesentliche Änderungen erfahren hat, namentlich wenn die versicherten Risiken ausgedehnt worden sind. Die Änderung der Laufzeit der Versicherung deutet sodann ebenfalls auf einen neuen Vertrag hin […].

Klageeinleitung vor Entstehung oder Fälligkeit des Versicherungsanspruchs?

Im einschlägigen Verfahren war u.a. die entscheidrelevante Frage umstritten, ob der eingeklagte Anspruch auf Versicherungsdeckung im Zeitpunkt der Klageeinleitung bereits entstanden und/oder fällig war. In Bezug auf diese Frage fasst das Handelsgericht Zürich in seinem hier diskutierten Urteil gewisse Grundsätze betreffend die klageweise Geltendmachung von noch nicht entstandenen oder noch nicht fälligen Forderungen zusammen (E. 2.8.2, S. 30 f.; Hervorhebung zusätzlich):

Grundsätzlich kann sich die Leistungsklage nur auf bereits fällige Ansprüche beziehen. Dies ist jedoch keine Zulässigkeits-, sondern eine Begründetheitsvoraussetzung, weshalb eine vor Fälligkeit erhobene Leistungsklage als ‚zur Zeit unbegründet’ abzuweisen ist. Die Fälligkeit muss zwar nicht schon zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorliegen; als Voraussetzung zur Gutheissung muss sie vielmehr erst zum entscheidungsmassgeblichen Zeitpunkt gegeben sein […]. Ist schon anhand der Klage erkennbar, dass die Fälligkeit noch nicht eingetreten ist, riskiert die verfrüht klagende Partei eine Abweisung wegen Unbegründetheit. Unproblematisch ist eine Klage auf künftige Leistungen dagegen dort, wo sie vom Privatrecht ausdrücklich vorgesehen ist. Dies gilt vor allem für periodische Leistungen wie Unterhaltsbeiträge und Renten. In solchen Fällen ist zum Teil auch eine Verurteilung zur Erbringung wiederkehrender Leistungen möglich. Eine Klage auf künftige Leistungen, bezogen auf den gesamten Unterhaltszeitraum, ist daher zulässig, insbesondere in Fällen, in denen der Anspruch als ganzer grundsätzlich entstanden ist und die Fälligkeit der einzelnen (Teil-) Ansprüche nur noch vom Ablauf der dafür vorgesehenen Zeit abhängt […]. Abgesehen von solchen Spezialkonstellationen ist grundsätzlich an der Unbegründetheit von vor der Fälligkeit erhobenen Leistungsklagen festzuhalten. Hat der Kläger allerdings ein besonderes Rechtsschutzinteresse, weil der Beklagte das Bestehen der Leistungspflicht schon vor der Fälligkeit ausreichend deutlich bestreitet, ist die Klage bereits bezifferbar und steht der Fälligkeitszeitpunkt fest, so spricht vieles dafür, eine Leistungsklage bereits vor Fälligkeit zuzulassen. Ist dies dagegen nicht der Fall, ist der Gläubiger bei hinreichend deutlicher Bestreitung seines Anspruchs durch den Schuldner vor Fälligkeit auf den Weg der Feststellungsklage zu verweisen […]. Unabhängig davon gilt es zu beachten, dass eine Forderung nur dann fällig werden kann, wenn sie überhaupt erst entstanden ist. Zudem sind rein vorsorgliche Klageerhebungen, welche vom Eintritt einer Bedingung abhängig gemacht werden, unzulässig, würden doch dadurch die Wirkungen der Klage ins Ungewisse gestellt […].

Mit Blick auf den einschlägigen Streitfall kam das Handelsgericht Zürich zum Schluss, dass die Klägerin ihre Klage eindeutig zu früh anhängig gemacht hatte, also noch bevor ihr behaupteter Versicherungsanspruch entstanden war (Urteil, E. 2.8.3.5, S. 43):

Es geht letztendlich klarerweise nicht an, eine (unsubstantiierte) Klage einzulei- ten, in der Hoffnung, der eingeklagte Versicherungsanspruch an sich bzw. die diesbezüglich in der Police vereinbarten Bedingungen und Voraussetzungen wür- den sich im Verlaufe des Verfahrens allenfalls dennoch verwirklichen. Ein solches Vorgehen untergräbt zudem eindeutig den Sinn und Zweck einer Kreditausfallver- sicherung. Zudem müsste die vertragsmässige Erfüllung der im Versicherungs- vertrag vereinbarten Bedingungen und Obliegenheiten von der Klägerin substantiiert behauptet und letztendlich auch bewiesen werden.”

Ungewöhnlichkeitsregel

Das Handelsgericht Zürich hatte im einschlägigen Prozess verschiedene Auslegungskontroversen zu entscheiden. In diesem Zusammenhang rief es u.a. die Grundsätze bezüglich der sogenannten Ungewöhnlichkeitsregel in Erinnerung (E. 2.9.2):

Gemäss der Ungewöhnlichkeitsregel sind von der global erklärten Zustimmung zu allgemeinen Vertragsbedingungen alle ungewöhnlichen Klauseln ausgenommen, auf deren Vorhandensein die schwächere oder weniger geschäftserfahrene Partei nicht gesondert aufmerksam gemacht worden ist. Der Verfasser von allgemeinen Geschäftsbedingungen muss nach dem Vertrauensgrundsatz davon ausgehen, dass ein unerfahrener Vertragspartner ungewöhnlichen Klauseln nicht zustimmt. Die Ungewöhnlichkeit beurteilt sich aus der Sicht des Zustimmenden im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Die Beurteilung erfolgt bezogen auf den Einzelfall. Die fragliche Klausel muss zu einer wesentlichen Änderung des Vertragscharakters führen oder in erheblichem Masse aus dem gesetzlichen Rahmen des Vertragstypus fallen […]. In terminologischer Hinsicht wird im Versicherungswesen, wie vorliegend der Fall, anstatt von ‚AGB’ meist von ‚Allgemeinen Versicherungsbedingungen’ (AVB) gesprochen […]. Die Ungewöhnlichkeitsregel ist, wie von der Beklagten richtig ausgeführt und von der Klägerin grundsätzlich nicht bestritten […], nur auf allgemeine Versicherungsbedingungen, nicht aber auf besondere Versicherungsbedingung anwendbar […].

Anrechnung des fachspezifischen Wissens des Versicherungsbrokers

Die Klägerin machte im einschlägigen Prozess mit Blick auf eine umstrittene und für ihre Rechtsposition ungünstige AVB-Klausel geltend, sie habe diese Klausel global übernommen. In den Vertragsverhandlungen war die Klägerin jedoch von einem Versicherungsbroker vertreten und beraten worden, mit welchem die eingeklagte Versicherung die betreffende AVB-Klausel diskutiert hatte. Vor diesem Hintergrund hielt das das Handelsgericht Zürich in seinem Urteil (E. 2.9.2, S. 48) folgendes fest:

Wie die Beklagte zu Recht ausführt, ist dem Versicherungsnehmer das fachspezifische Wissen des Brokers anzurechnen. Dies gilt nicht nur für Sachverhaltsfragen, sondern auch für versicherungsrechtliches Know-how, welches beim Broker vorhanden ist […]. Sofern ein Versicherungsnehmer beim Abschluss des Versicherungsvertrages durch einen Broker beraten oder gar vertreten wird, ist davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer durch die fragliche Versicherungsbestimmung nicht überrascht worden ist, sondern den Vertrag im Wissen um die fragliche Klausel abgeschlossen hat. Dies, weil nicht davon auszugehen ist, dass der Versicherungsbroker den Wortlaut der Police, welchen er seinem Kunden empfiehlt und diesem erläutern muss, selber nicht genau kennt […]. Da davon auszugehen ist, dass der Broker der Klägerin von der Beklagten auf die Existenz der AVB und deren Funktionsweise, insbesondere auf die Deckungsvoraussetzung der ‚unbestrittenen Forderung’ aufmerksam gemacht worden ist und sich die Klägerin das Wissen ihres Brokers anrechnen lassen muss, ist nicht von einer Globalübernahme der AVB auszugehen.” 

Schutzzweck der Kreditausfallversicherung

Mit Blick auf die Auslegung einer AVB-Bestimmung des Kreditausfallversicherungsvertrages, bezüglich derer eine Prozesspartei die Ungewöhnlichkeit im Sinne der oben erwähnten Ungewöhnlichkeitsregel geltend gemacht hatte, äusserte sich das Handelsgericht Zürich auch zum typischen Deckungsumfang entsprechender Versicherungen (E. 2.9.2, S. 49):

[…] [D]ie Kreditversicherung [soll] Lieferanten vor zahlungsunfähigen und zahlungsunwilligen Kunden schützen. Demgegenüber ist der Beklagten zuzustimmen, wonach es grundsätzlich nicht Sinn und Zweck der Kreditversicherung sein kann, einen Lieferanten zu schützen, welcher aus eigenem Verschulden, etwa aufgrund der Lieferung von mangelhafter Ware, gar keinen Anspruch auf eine Forderung hat […]. Wie die Beklagte zutreffend ausführt und mit entsprechenden Kopien der ‚Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kreditversicherung Basic Finance, Version 2011 der O._____ Versicherungs-Gesellschaft AG’ […], sowie der ‚Allgemeine Versicherungs-Bedingungen (AVB), Standard-AVB Kreditversicherung, Ausgabe 01.2007 der P._____’ […] belegt, beschränkt sich der Deckungsumfang dieser beiden Schweizer Anbieter von Kreditausfallversicherungen ebenfalls auf unbestrittene Forderungen. Weiter hält das von der Klägerin zitierte (ausländische) Buch mit dem Titel ‘Credit Insurance’ des Autors ‚Miran Jus’ aus dem Jahr 2013 […] auf S. 5 fest: ‚Indemnification for loss sustained shall be made within the predetermined amount, if the seller (insured creditor/obligee) without his own fault is not paid by his domestic or foreign buyers’ […]. Mit anderen Worten soll gemäss dieser Lehrmeinung im Rahmen von Kreditversicherungsverträgen eine Entschädigung für erlittenen Schaden im vereinbarten Umfang geleistet werden, wenn der Verkäufer vom Käufer ohne eigenes Verschulden für seine auf Kredit gelieferten Waren oder Dienstleistungen nicht bezahlt wird. Weiter lässt sich dem besagten Buch entnehmen: ‚In other words, credit insurance policy, for example, does not provide protection to sellers for their own performance risk and does not cover their losses due to nonpayment of buyers as long as they have righteous and justifiable reason not to pay’ […]. Frei übersetzt bedeutet dies, dass Kreditversicherungspolicen den Verkäufer nicht für sein eigenes Leistungsrisiko absichern und Verluste aufgrund von unterbliebenen Zahlungen von Käufern nicht abdecken würden, solange diese redliche und gerechtfertigte Gründe hätten, nicht zu bezahlen. Zusammenfassend erscheint es somit weder geschäftsfremd noch ändert es den Charakter der Kreditversicherung, wenn die Beklagte die Gewährung von Versicherungsschutz in der Klausel § 2.1 AVB davon abhängig macht, dass eine Forderung ‚unbestritten’ ist. Damit kann das Vorliegen der objektiven Ungewöhnlichkeit ebenfalls verneint werden.

Philipp H. Haberbeck, Zürich; zuerst veröffentlicht auf LinkedIn am 13. Juni 2019 (www.haberbeck.ch)

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