Wann darf dem Arbeitnehmer fristlos gekündigt werden? Die neue «grosszügigere» Praxis des Bundesgerichts

Wann darf dem Arbeitnehmer fristlos gekündigt werden? Die neue «grosszügigere» Praxis des Bundesgerichts

Das Gesetzt unterscheidet zwei Arten der Kündigung von Arbeitsverhältnissen: Einerseits die ordentliche Kündigungsfrist gemäss Art. 335 OR, wobei insbesondere die vertragliche bzw. gesetzliche Kündigungsfrist einzuhalten ist. Andererseits die ausserordentliche oder eben fristlose Kündigung nach Art. 337 OR, die per sofort, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist wirksam ist.

Wichtiger Grund als Voraussetzung

Der wesentliche Unterschied zwischen der ordentlichen und fristlosten Kündigung ergibt sich aus den Voraussetzungen hinsichtlich deren Gültigkeit. Die fristlose Kündigung setzt zwingend das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus. Ob ein wichtiger Grund in diesem Sinne vorliegt entscheidet sich aufgrund des Einzelfalls unter Würdigung der gesamten Umstände. Als massgebliche Kriterien bezeichnet das Bundesgericht etwa die Stellung und Verantwortung des Arbeitnehmers, die Dauer des Arbeitsverhältnisses, der Art, Häufung und Schwere der Vertragsstörung und eine allfällig vorausgegangene Verwarnung. Die Gerichte tendieren dabei hohe Anforderungen an die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung zu stellen. Auch das Bundesgericht betont regelmässig den Ausnahmecharakter der fristlosen Kündigung.

Fristlose Kündigung ist endgültig

Eine fristlose Kündigung birgt für den Arbeitgeber oft erhebliche Risiken. Als Gestaltungsrecht lässt sich eine Kündigung nämlich grundsätzlich nicht mehr rückgängig machen. Das bedeutet, wenn einem fehlbaren Arbeitnehmer einmal fristlos gekündigt wurde und sich nachträglich (allenfalls nach Einholung einer rechtlichen Beratung) herausstellt, dass der Kündigungsgrund für einer fristlose Kündigung nicht ausreichend ist, der Arbeitnehmer zwar nicht mehr zur Arbeit erscheinen muss und trotzdem bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist den vollen Lohn erhält. Die Problematik wird insofern noch akzentuiert, als dass nicht nur die materiellen Hürden für die Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung hoch sind, sondern die Rechtsprechung von Kündigenden gleichzeitig verlangt, die Kündigung sofort, d. h. in der Regel innerhalb weniger Tage nach Kenntnis des Kündigungsgrundes auszusprechen, ansonsten das Recht zu einer fristlosen Kündigung als verwirkt gilt.

Tiefer Anforderungen an den Kündigungsgrund

Vor diesem strengen Hintergrund ist zumindest aus Arbeitgebersicht zu begrüssen, wenn das Bundesgericht in neueren Entscheiden die Anforderung an eine fristlose Kündigung tiefer anzusetzen scheint. So hat das höchste Gericht im Urteil 4A_228/2015 vom 29. September 2015 den Entscheid der Vorinstanz aufgehoben, der die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters in einem Restaurant wegen der Mitnahme einer günstigen Flasche Wein aus dem Lager, als unzulässig taxiert hatte. Das Bundesgericht wiederholte zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach Straftaten zulasten des Arbeitgebers grundsätzlich einen wichtigen Grund für die Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung darstellen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass der geringe Wert der Weinflasche für das Bundesgericht nicht gegen die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung sprach. Nach Ansicht des Bundesgerichts ist auch das Stehlen von Sachen mit geringem Wert geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu zerstören. Auch die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses von 11 Jahren ändere daran nichts. Der zu beurteilende Vorfall sei deshalb genügend gravierend, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, so das Bundesgericht.

In einem weiteren neueren Entscheid schützte das Bundesgericht die bereits von den Vorinstanzen als gerechtfertigt beurteilte fristlose Kündigung einer Mitarbeiterin eines Produktionsbetriebes, die an insgesamt drei Tagen das interne Zeiterfassungssystem manipuliert hatte. Nach Ansicht des Bundesgerichts war nicht massgebend, dass die “erschlichene” Arbeitszeit nur wenige Stunden betrug und die daraus resultierende Lohnforderung geringfügig war. Entscheidend sei nicht die Höhe des Schadens, sondern der mit der Schädigung verbundene Treuebruch. In diesem Zusammenhang verwies das Bundegericht ausdrücklich auf das vorhergehend zitierte Urteil 4A_228/2015 vom 29. September 2015.

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