Was kann gegen ungerechtfertigte Betreibungen unternommen werden?

Was kann gegen ungerechtfertigte Betreibungen unternommen werden?

Im Geschäfts- und Sozialleben wird der Tatsache, dass jemand betrieben worden ist, eine zunehmende Bedeutung beigemessen. Das Betreibungsregister wird konsultiert, um die Kreditwürdigkeit eines Bewerbers zu beurteilen, für die Behandlung von Zulassungsgesuchen bei bewilligungsbedürftigen Berufen oder auch vor Abschluss einer Wohnungsmiete. Die Kredit- und Vertrauenswürdigkeit des Betriebenen leidet, insbesondere soweit namhafte Summen in Betreibung gesetzt wurden.

Keine materielle Prüfung der Forderung

Es entspricht einer Besonderheit des schweizerischen Vollstreckungsrechts, dass der Gläubiger eine Betreibung einleiten kann, ohne den Bestand seiner Forderung nachweisen zu müssen. Will sich der Schuldner gegen eine ungerechtfertigte Betreibung zur Wehr setzten, muss er gegen die gegen ihn gerichtete Betreibung einen Rechtsvorschlag erheben. Unterlässt er den Rechtsvorschlag, so läuft er Gefahr, dass sein Vermögen gepfändet und anschliessend verwertet wird, auch wenn die Forderung nicht mehr besteht oder gar nie bestanden hat. Allerdings bleibt der Eintrag im Betreibungsregister trotz Rechtsvorschlag bestehen und die Betreibung als solche bleibt gleichwohl für jedermann einsehbar.

Will der Betriebene einen ungerechtfertigten Eintrag im Betreibungsregister “löschen” lassen, bleibt ihm grundsätzlich nur der Gerichtsweg über eine negative Feststellungsklage oder die Beschwerde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen (sog. betreibungsrechtliche Beschwerde).

Beschwerde gegen rechtsmissbräuchliche Betreibungen

Sofern ein Betreibungsbegehren den formellen Anforderungen entspricht, muss das Betreibungsamt der darin bezeichneten Person einen Zahlungsbefehl zustellen. Nur wenn erkennbar ist, dass eine Betreibung rechtsmissbräuchlich erfolgt, hat das Betreibungsamt oder die Aufsichtsbehörde die Nichtigkeit der Betreibung festzustellen und die Ausstellung des Zahlungsbefehls zu verweigern. Da ein Betreibungsbegehren keine Begründung und regelmässig nur einen sehr rudimentären Betreibungsgrund enthält, ist es für den Betreibungsbeamten praktisch unmöglich den rechtsmissbräuchlichen Hintergrund einer ungerechtfertigten Betreibung zu erkennen. Der ungerechtfertigt Betriebene kann sich daher regelmässig nur nachträglich mittels betreibungsrechtlicher Beschwerde gegen die Betreibung zur Wehr setzten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Grundsatz von Treu und Glauben auch im Zwangsvollstreckungsrecht zu beachten. Bei offensichtlich ungerechtfertigten Betreibungen kann demnach deren Nichtigkeit geltend gemacht und der Antrag gestellt werden, die betreffende Betreibung sei im Betreibungsregister mit einem Vermerk zu versehen, wonach der Eintrag für Dritte nicht mehr einsehbar ist. Die Nichtigkeit eines Zahlungsbefehls ist jederzeit von Amtes wegen zu beachten (Art. 22 Abs. 1 SchKG), weshalb dieser Rechtsbehelf nicht an bestimmte Fristen gebunden ist.

Das Bundesgericht sowie die herrschende Lehre knüpfen die Nichtigkeit einer Betreibung an strenge Voraussetzungen. Die Anforderungen an die Bejahung der Nichtigkeit einer Betreibung infolge Rechtsmissbrauchs sind hoch. Wie das Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung auch in einem neuerem Urteil bestätigt hat, setzt die Missbräuchlichkeit einer Betreibung voraus, dass damit offensichtlich Ziele verfolgt werden, die nicht das Geringste mit einer Zwangsvollstreckung zu tun haben (BGer 5A_317/2015 vom 13. Oktober 2015, E. 2.1). Letztere Voraussetzung, so würde man glauben, müsste immer erfüllt sein, wenn die in Betreibung gesetzte Forderung gar nicht existiert oder in Wirklichkeit wesentlich kleiner ist. Dem Betreibungsamt bzw. der Aufsichtsbehörde steht es allerdings nicht zu, über die materielle Begründetheit einer in Betreibung gesetzten Forderung zu entscheiden. Entsprechend ist es den zuständigen Betreibungsorganen verwehrt, die Nichtigkeit einer Betreibung einzig wegen Unbegründetheit einer in Betreibung gesetzten Forderung festzustellen. Das Bundesgericht hält dazu ausdrücklich fest, allein die Behauptung, wonach der in Betreibung gesetzten Forderung jegliche Grundlage fehle, lasse die Betreibung noch nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen (BGer 7B.182/2005 vom 1. Dezember 2005, E. 2.4). Mithin darf sich der Vorwurf des Schuldners nicht darauf beschränken, der umstrittene Anspruch werde rechtsmissbräuchlich erhoben. Vielmehr muss mit der Betreibung zusätzlich ein sachfremdes Ziel verfolgt werden. Nichtigkeit ist beispielsweise dann zu bejahen, wenn durch die Betreibung etwa bloss die Kreditwürdigkeit des (angeblichen) Schuldners geschädigt werden soll, wenn zwecks Schikane ein völlig übersetzter Betrag in Betreibung gesetzt wurde, oder wenn aus anderen Gründen offensichtlich ist, dass ein Gläubiger mit einer Betreibung bezweckt, den Betriebenen mit Absicht zu schikanieren (BGer 5A.588/2011 vom 18. November 2011, E. 3.2).

Zumindest die kantonale Rechtsprechung scheint von der traditionell sehr restriktiven Handhabung der Nichtigkeitsfolge bei ungerechtfertigten Betreibungen etwas abzukommen. So hat das Obergericht des Kantons Zürich in einem erst kürzlich publizierten Entscheid die Ansicht der Vorinstanz geschützt, die eine Betreibung aufgrund ihres schikanösen Hintergrunds als nichtig aufgehoben hat. Gegenstand des betreffenden Urteils war eine Betreibung gegenüber der Geschäftsleitung einer Bank im Umfang von CHF 8’798’523, die aufgrund eines Geldwäschereiverdachts Gelder des betreibenden Kunden gesperrt hatte. Nach Ansicht des Obergerichts des Kantons Zürich bezweckte der betreibende Kunde, die Führungscharge der Bank in den Streit mit der Bank hineinzuziehen und dadurch Druck auszuüben. Da der Betreibende es zudem unterlassen habe, auf die beträchtliche Forderungshöhe von CHF 8’798’523 auch nur ansatzweise einzugehen, sei von einer Fantasieforderung auszugehen.

Lediglich ein Jahr zuvor hatte das Obergericht des Kantons Zürich in seiner Funktion als obere Aufsichtsbehörde einen Entscheid des Bezirksgerichts Zürich aufgehoben, der die Beschwerde einer Bank gegen eine Betreibung im Umfang von CHF 300 Mio. wegen Nichtigkeit abgewiesen hatte. Für das Obergericht des Kantons Zürich war in Bezug auf die Nichtigkeit der Betreibung massgebend, dass der Gläubiger eine exorbitante Summe in Betreibung setzte, ohne einen nur ansatzweise plausiblen Rechtsgrund dafür anzugeben. Neben dieser Tatsache bestanden aber auch Indizien, die eine Betreibung aus Rache (die Bank hatte gegen den Betreibenden zuvor eine Strafanzeige erstattet) nahelegten. Das Zürcher Obergericht wies zudem darauf hin, dass der Existenz einer Forderung im Rahmen der Feststellung der Nichtigkeit einer Betreibung eine zentrale Rolle zukomme. Nach Auffassung des Gerichts hätten die Betreibungsorgane mindestens zu klären, ob einer Forderung, zumindest wenn diese wie im beurteilten Fall sehr hoch ist, eine gewisse Plausibilität aufweise oder völlig abwegig sei. Dieses relativ weitgehende Urteil des Zürcher Obergerichts ist auch deshalb hervorzuheben, weil gemäss Bundesgericht, an welches der Fall weitergezogen wurde, festhielt, dass darin “die rechtliche Ausgangslage insgesamt zutreffend geschildert” worden sei (BGer 5A_588/2011 vom 18. November 2011, E. 4).

Die dargelegte Rechtsprechung dürfte die Aussichten von ungerechtfertigten Betriebenen, sich gegen unbegründete Fantasieforderungen wirksam zur Wehr setzen zu können, zumindest etwas aufhellen. Dies gilt insbesondere bei sehr hohen Betreibungsforderungen. Zumindest scheint die neuere Rechtsprechung dem Aspekt der materiellen Begründetheit eines Betreibungsbegehrens im Rahmen der Nichtigkeitsprüfung vermehrt Gewicht beizumessen. Diese Entwicklung ist zu begrüssen, wobei die vom Bundesgericht erst kürzlich bestätigten strengen Anforderungen an die Missbräuchlichkeit einer Betreibung weiterhin zu Berücksichtigen sind.

Negative Feststellungsklage

Aufgrund dieser weiterhin strengen Voraussetzungen um mittels einer betreibungsrechtlichen Beschwerde gegen eine ungerechtfertigte Betreibung vorzugehen, kann sich als Alternative die sog. negative Feststellungsklage anbieten. Bei dieser Klageart erhebt der Betriebene gegen den angeblichen Gläubiger eine Klage, bei der das Gericht per Urteil feststellen soll, dass letzterer gegenüber dem Betriebenen gar keine Forderung hat. Das Bundesgericht stellte lange Zeit strenge Voraussetzungen an die Zulässigkeit negativer Feststellungsklagen. So musste die Betreibung für den Betriebenen eine unzumutbare Ungewissheit bedeuten, die ihn in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit konkret und empfindlich behinderte. Weil der Nachweis für diese konkrete Behinderung schwierig und weil das Verfahren (im Gegensatz zur grundsätzlich kostenlosen betreibungsrechtlichen Beschwerde) mit hohen Kosten verbunden ist, wurde oftmals von diesem Schritt abgesehen. Das Bundesgericht hat nun in einem neueren Entscheid die Voraussetzungen für eine negative Feststellungsklage zur Abwehr einer ungerechtfertigten Betreibung weiter gelockert. Neu ist das schutzwürdige Interesse an der Feststellung des Nichtbestands einer Forderung grundsätzlich zu bejahen, sobald diese in Betreibung gesetzt wurde, ohne dass der Betriebene konkret nachweisen muss, dass er wegen der Betreibung in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit empfindlich beeinträchtigt wird. Damit hat der ungerechtfertigt Betriebene insbesondere ein stärkeres Druckmittel in der Hand, um den vermeintlichen Gläubiger zu einem freiwilligen Rückzug der Betreibung zu bewegen. Denn sollte letzterer den negativen Feststellungsprozess gegen den ungerechtfertigt Betriebenen verlieren, muss er für sämtliche Verfahrenskosten aufkommen.

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